Dancing Fundaments. The Aesthetic of Inconvenience.

Das Auftreten eines Reaktorunglück, revolutionäre Unruhen in einem Grossteil der arabischen Länder, massive soziale Proteste in Spanien, England und Chile, der Verfall der europäischen Einheitswährung, die unübersehbare Andeutung einer globalen Machtverschiebung von den westlichen Mächten hin zu immer stärker werdenden Schwellenländern wie Brasilien, China und Indien. Durch diese wirtschaftlichen und politischen Aspekte sind die Fundamente der westlichen Kultur infrage gestellt.

Lange galt die westliche Tradition als „Leitkultur“ und als erstrebenswertes Gut auf globaler Ebene. Wir beobachten jedoch, dass die hiesige Kultur kaum noch passende Antworten auf dringliche gesellschaftliche Probleme bietet. Gleichzeitig kann man anhand der europäischen Geschichte ihre wesentliche Stärke ausmachen: Sie war über Jahrhunderte in der Lage sich an Scheidewegen neu zu erfinden, indem sie auf unbequeme Fragen passende Antworten fand. Erneut befindet sich die westliche Welt an einer solchen Weggabelung. Die Ausgangslage ist klar. Sie wird jedes Mal aufs neue in den Medien diskutiert. Doch die spannende Frage bleibt, in welche Richtung sich die europäische Kultur entwickeln wird?

Vergleicht man Kunst- und Gesellschaftsgeschichte, gehen der Entstehung neuer ästhetischer Formen und Kunstrichtungen gesellschaftliche Veränderungen und damit verbundene Wertvorstellungen voraus.

Die Frage, was kommen wird, werden wir in IRBIS-12° nicht beantworten können. Wohl aber die Werke junger schweizer Künstler, Architekten/Designern und Wissenschaftler präsentieren, die sich hiermit befassen. Damit sollen auch die anfangs geschilderten Gegebenheiten ins Bewusstsein gerückt werden.

Man muss nicht weit in die Vergangenheit gehen, um Belege für ein Zusammenspiel von gesellschaftlicher und ästhetischer Veränderung zu finden.  Aus zahlreichen Beispielen der Kunstgeschichte dienen uns zwei bedeutsame künstlerische Strömungen zu Beginn des 20. Jahrhunderts zur Illustration.

Zum einen handelt es sich um den Jugendstil. Der Jugendstil war ein gesamteuropäisches Phänomen um 1900, das in Frankreich Art Nouveau, in England Liberty Style und in Spanien Modernismo hieß. Die unterschiedlichen Bezeichnungen für den Stil ergeben sich zum ei-nem von der Abkehr vom Traditionellen hin zu neuen Formen, zum anderen war es eine Bewegung der Jungen, die sich von den alten Institutionen wie den Salons verabschiedeten.

In der Kunst und Architektur bedeutete das die Abkehr vom Historismus und die Zuwendung zu neuen Formen. Obwohl sich die Wirtschaft und der Alltag immer weiter durch die Industrialisierung veränderten, wurden neue Bauaufgaben wie Bahnhöfe und Produktions-stätten weiterhin im traditionellem Stil erfüllt. Die Kunst ruhte in einem Dornröschenschlaf. Auf diese Diskrepanz machten die Vertreter des Jugendstils aufmerksam und suchten nach neuen zeitgemässen Lösungen. Ansatzpunkte fanden sie in fremden Kulturen, wie etwa der asiatischen. Damals galt die Unzufriedenheit der Jungen vor allem gegenüber den Autoritäten, über Professoren sowie herrschenden Schichten. Der Hochmut, der von ihnen gelehrt und der Prunk der von ihnen gelebt wurde, fand sich nicht in der Lebenswelt der großen Mehrheit. Er galt in intellektuellen Kreisen als theatralisch und obszön.

Schon um 1900 deutet sich der zweite angesprochene künstlerische Stil an: Die Abstraktion ist wohl eine der wichtigsten Entwicklungen des 20. Jahrhunderts. Die ersten Versuche der Ablösung der Form vom Objekt fanden schon Ende des 19. Jahrhunderts statt. Der Siegeszug der absoluten Abstraktion und ihrer Etablierung in der Kunst war eine Reaktion auf gesellschaftliche Gegebenheiten.

Aufgrund von zwei Weltkriegen, großes menschliches Elend und Chaos nach den Kriegen, den Vormarsch der Maschine, die Flächendeckende Industrialisierung in weiten Teilen Europas. Die Kunst spiegelte das und vieles mehr in ihren Werken: Der Schock, das Hässliche, das Sachliche, das Unsichere, das Maschinelle, die Unordnung. Gleichzeitig gab es eine Abkehr von der Realität und die Kunst richtete ihren Augenmerk auf sich selbst und reflektierte sich.

Heute hört man tagtäglich apokalyptische Nachrichten. Die einen prophezeien den Untergang unserer Kultur, die anderen den Untergang des kapitalistischen Systems und der Banken, den Verfall der Werte, gar der Familie. Kulturelle Kriege. Religiöse Kriege. Auf der anderen Seite leben wir in einer hochtechnisierten Welt, die das Leben rasant verändert. Die Werke Schweizer Künstler in IRBIS -12° stellen unterschiedliche Tendenzen zum aktuellen Gesellschaftswandel dar und loten Unsicherheiten unserer Zeit aus.